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Kultur hat sich seit 1870 sehr gehoben. Ein feiner Geschmack
und ein ausgeprägter Sinn für das Schöne und Elegante sind neben
Fleiß und Sparsamkeit (Frankreich ist das Land der kleinen Rentner !)
hervorragende Eigenschaften des französischen Volkes, die höchstens
noch von seinem Patriotismus übertroffen werden. Die herrschende
Staatsform ist seit 1870 die republikanische. An der Spitze des
Staates steht ein auf 7 Jahre gewählter Präsident.
B. Wirtschaftliches.
i. Landwirtschaft. Frankreich ist trotz seiner hochentwickelten
Industrie vorwiegend Ackerbaustaat. Da die einzelnen Besitzungen
sehr klein sind (Gegensatz zu England!), ist die Bewirtschaftung
eine sehr intensive, und der französische Bauernstand erfreut sich bei
der großen natürlichen Fruchtbarkeit des Bodens eines bedeutenden
Wohlstandes. Nach den hauptsächlichsten Bodenprodukten könnte
man drei Regionen unterscheiden: Die öl zone im Süden, die Wein-
zone im mittleren und die Getreide- und Obst zone im nördlichen
Frankreich. Das Hauptgewicht liegt auf dem Anbau von Wein,
Obst, Gemüse und Südfrüchten. Getreide, besonders Weizen
und Hafer, gedeiht natürlich überall, muß aber infolge des Städte-
reichtums trotz reicher Ernten noch aus den Donauländern ein-
geführt werden. Ebenso deckt der Anbau von Kartoffeln, Hanf,
Flachs und Tabak (Staatsmonopol) kaum den Bedarf, wogegen
Rübenzucker noch in Mengen aufgeführt werden kann. Haupt-
zuckermarkt ist Paris. (Produktion 1905/06 rund 970 0001) Überfluß
herrscht an Wein, Obst, Gemüsen und Südfrüchten. Frankreich ist
das erste We in land der Erde, und seine Weine sind dank der vor-
züglichen Kellerwirtschaft ihrer Qualität wegen überall geschätzt.
Der Weinbau beschäftigt rund 2 Mill. Menschen; fast 5% der Fläche
sind mit Wein bepflanzt, die Jahresproduktion schwankt zwischen
35—7° Mill. hl. (1900 — 67, 1901 — 58, 1902 — 40, 1903 — 35,
x9°4 — 66, 1905 —56, 1906 — 52 Mill. hl. — Ausfuhr für annähernd
200 Mill. M.) Die geschätztesten Marken wachsen auf dem Kreide-
boden der Champagne (Epernay, Châlons sur Marne, Reims), am
Ostabhange des Côte d'or-Gebirges (Burgund-Dijon) und im De-
partement der Gironde (Bordeaux). Der Weinbau, früher eine der
Hauptquellen des französischen Nationalreichtums, leidet heute sehr
unter dem Wettbewerb der Kunstweine, und ein bedeutender Teil
TM Hauptwörter (50): [T15: [Wein Getreide Baumwolle Tabak Kaffee Obst Weizen Reis Zucker Kartoffel], T29: [Handel Industrie Land Ackerbau Fabrik Stadt Deutschland Mill Viehzucht Gewerbe], T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf]]
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Extrahierte Personennamen: Epernay
Extrahierte Ortsnamen: Frankreich Frankreich England Frankreich Donauländern Paris Frankreich Reims Burgund-Dijon
— 92 —
Seen und gib ihre Bedeutung für den Po an! In den Südabhang
der Alpen eingebettet und vor rauhen Nordwinden geschützt, kann
sich an den Ufern der Seen ein üppiger Pflanzenwuchs entwickeln,
der sie nebst ihrem milden Klima zu den reizendsten Punkten der
Erde macht (Winterkurorte, Fremdenverkehr!).
4. Klima und Bodenfruchtbarkeit. Während der Poebene
schroffer Gegensatz zwischen Sommer und Winter eigen ist, ver-
schwindet dieser nach Süden immer mehr; die Trockenheit nimmt
von Norden nach Süden zu, wo sie durch den von Afrika herüber-
wehenden Scirocco noch verschärft wird (Neapel ist 4, Sicilien
5 Monate regenlos). In den Sumpfgebieten herrscht oft das Malaria-
fieber, wogegen die Riviera von Kurorten besät ist (San Remo,
Nervi). — Das Klima unterstützt die fast unerschöpfliche Frucht-
barkeit großer Bodenstrecken — Poebene, Ätnagebiet, Ebenen von
Apulien und Kalabrien —, so daß man jahrelang ohne Düngung
reiche Erträge erzielt und in manchen Teilen des Landes fast das
ganze Jahr hindurch ernten kann.
5. Politisches und Bevölkerung. Italien bildet seit 1861 ein ver-
einigtes, konstitutionelles Königreich, dessen Bewohner zum größten
Teil Romanen sind und der römisch-katholischen Kirche angehören.
Lebhafte Phantasie, rasche Auffassungsgabe, Nüchternheit sind die
Lichtseiten, leichte Erregbarkeit und Leidenschaftlichkeit, die wegen
einer Kleinigkeit zum Messer greifen läßt (Anarchisten, Geheim-
gesellschaften !), endlich in Süditalien Hang zur Trägheit und Un-
reinlichkeit die Schattenseiten ihres Charakters. Die Volksbildung
läßt noch viel zu wünschen übrig. Die große Bevölkerungsdichte
(im Mittel 113 Menschen auf dem Quadratkilometer!) verbunden
mit den ungünstigen Erwerbsverhältnissen (Großgrundbesitz, wenig
Industrie!) sind die Ursachen einer bedeutenden dauernden sowohl
als auch zeitweiligen Auswanderung (300000—500000 im Jahre,
hauptsächlich Maurer und Erdarbeiter).
B. Wirtschaftliches.
I. Die Landwirtschaft beschäftigt in Italien noch mehr als die
Hälfte der Bevölkerung und nimmt rund 70% des Bodens in Be-
nutzung. Früher war der Anteil des unproduktiven Landes geringer;
jetzt liegen infolge jahrhundertelanger Verwahrlosung und infolge
TM Hauptwörter (50): [T49: [Land Klima Europa Meer Lage Asien Winter Insel Afrika Zone], T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf], T44: [Alpen See Stadt Schweiz Italien Meer Berg Insel Fuß Inn]]
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— 4i —
der Maschinen- und Schiffbau (auf den Werften am Clyde, am
Tyne und an der Themse).
Die reichen Tonlager in Stoke upon Trent haben eine hochentwickelte
Ton- und Por zeli an warenindustrie hervorgerufen (Waschtoiletten,
Klosettkörper, Spülsteine). Gl a s waren werden in London und Birming-
ham hergestellt. Die chemische Industrie, außer in London noch im
nördlichen England (Newcastle) und in Glasgow ansässig, erzeugt Soda
(die meiste von allen Ländern), Schwefelsäure, Farben, Lacke, Seifen
Parfümerien. Der eingeführte Rohzucker wird in London, Liverpool,
Bristol und Edinburg raffiniert; dabei findet noch ein starker Import
von Raffinade aus Deutschland statt (1906 für 156,5 Mill. M). Die Leder-
industrie stellt Schuhwaren und Reiserequisiten her. Lo ndo n ist Haupt-
ledermarkt der Welt. Die Papierfabrikation in London, Manchester
und Bath verwendet sehr viel Haifa, ein Gras aus Algerien.
4. Handel. England ist der erste Handelsstaat der Welt, sein
Handel ist Welthandel im vollsten Sinne des Wortes (im Jahre 1905
betrug er 17,6%, mit Kolonien sogar 27,5% desselben). Zwar haben
der deutsche und der amerikanische Handel dem englischen großen
Abbruch getan (die Zunahme des englischen Handels ist gegen die-
jenige des Handels der beiden genannten Länder gering), aber immer
noch beherrscht England die Meere, da seine frühzeitige Entwicklung,
mit der es allen Staaten vorauseilte, ihm einen zu großen Vorsprung
gab. Die günstige Weltlage und Küstenentwicklung des Landes
sowie der Unternehmungsgeist des Briten sind bereits erwähnt
worden. In seinen vielen und reichen Kolonien hat Großbritanniens
Handel ein ungeheures Feld lohnender Tätigkeit. Endlich hat das
Britische Reich seine Handelspolitik stets den Verhältnissen anzu-
passen verstanden: nachdem es vermittels hoher Schutzzölle und
strenger Maßregeln Industrie und Handel zur Blüte gebracht hatte,
ging es (1848) zum Freihandel über und pries ihn den andern Staaten
als das einzig Richtige an.
Der Binnenhandel verdankt seine Entwicklung den vorzüg-
lichen Verkehrswegen. Die Bodengestaltung begünstigt die
Anlage von Straßen und Eisenbahnen. Die erste Eisenbahn
der Welt ist die von Stephenson erbaute Bahn von Stockton nach
Darlington. 1906 besaß England ein Netz von 36 450 km, sämtlich
von Privatgesellschaften angelegt. Die Schnelligkeit der Züge ist
nur auf längeren Strecken größer als bei uns (weniger Aufenthalts-
orte, Umleitungen um die Großstädte, sogenannte ,,Junctions"),
auf kürzeren Strecken leisten die deutschen Bahnen Besseres. Kühne
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Extrahierte Personennamen: Großbritanniens
Extrahierte Ortsnamen: London London England Glasgow London Liverpool Bristol Edinburg Deutschland London Haifa Algerien England England Britische_Reich Darlington England
15
haben bekanntlich niemals vernünftigen Grund, mithin wäre es lächer-
lich gewesen, da mit Worten zu widerlegen, wo das Werk deutlicher sprach.
Im Sommer 1812 wurden zugleich mit dem Turnplatz die Turn-
übungen erweitert. Sie gestalteten sich von Turntag zu Turntag viel-
facher und wurden unter freudigem Tummeln im jugendlichen Wettstreben
auf geselligem Wege gemeinschaftlich ausgebildet. Es ist nicht mehr genau
zu ermitteln, wer dies und wer das zuerst entdeckt, erfunden, ersonnen,
versucht, erprobt und vorgemacht hat. Von Anfang an zeigte die Turn-
kunst einen großen Gemeingeist und vaterländischen Sinn, Beharrlichkeit
und Selbstverleugnung. So ist es noch.
Beim Aufruf des Königs vom 3. Februar 1813 zogen alle wehr-
haften Turner ins Feld, und die Sache stand augenblicklich wie verwaist.
Nach langem Zureden gelang es mir in Breslau, einen meiner ältesten
Schüler zu gewinnen, daß er während des Krieges an meiner Stelle das
Turnwesen fortführen wollte.
Wenn auch zuerst nur einer als Bauherr den Plan entworfen hat,
so haben doch Meister, Gesellen, Lehrlinge und Handlanger treu und red-
lich gearbeitet und das Ihrige mit Blick und Schick beigetragen. Das ist
nicht ins einzelne zu verzetteln. Auch soll mau nicht unheiligerweise
Lebende ins Gesicht loben.
Berlin, den 31. März 1816. F. L. Jahn.
14. Das Loch im Ärmel.
Ich hatte einen Spielgesellen und Jugendfreund, namens
Albrecht, erzählte einst Herr Marbel seinem Neffen Konrad. Wir
beide waren überall und nirgend, wie nun Knaben sind, wild,
unbändig. Uns’re Kleider waren nie neu, sondern schnell besudelt
und zerrissen. Ha gab es Schläge zu Hause; aber es blieb beim
alten. Eines Tages saßen wir in einem öffentlichen Garten auf
einer Bank und erzählten einander, was wir werden wollten. Ich
wollte Generalleutnant, Albrecht Generalsuperintendent werden.
„Aus euch beiden wird im Leben nichts!“ sagte ein steinalter
Mann in feinen Kleidern und weiß gepuderter Perücke, der hinter
unserer Bank stand und die kindlichen Entwürfe angehört hatte.
Wir erschraken. Albrecht fragte: „Warum nicht?“ Her Alte
sagte: „Ihr seid guter Leute Kinder, ich sehe es euem Böcken
an; aber ihr seid zu Bettlern geboren; würdet ihr sonst diese
Löcher in euern Ärmeln didden ?“ Habei faßte er jeden von uns
an den Ellenbogen und bohrte mit den Fingern in die daselbst
durchgerissenen Ärmel hinauf. — Ich schämte mich, Albrecht auch.
„Wenn’s euch“, sagte der alte Herr, „zu Haus niemand zunäht,
warum lernt ihr’s nicht selbst? Im Anfang hättet ihr den Bock
mit zwei Nadelstichen geheilt; jetzt ist es zu spät, und ihr kommt
wie Bettelbuben. Wollt ihr Generalleutnant und Generälsuperintendent
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie]]
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Extrahierte Personennamen: F._L._Jahn Albrecht Albrecht Marbel Konrad Konrad Albrecht_Generalsuperintendent Albrecht Albrecht Albrecht Albrecht Albrecht
146
zu haben glaubte , setzte er sich in den Kopf, seine Patientin unter
die Haube zu bringen. 1769 meldete er das erste Aufgebot beim
Standesamt seines Bezirks an, das zweite und dritte folgten bald
hernach.
Mittellos, wie die Verlobten von Haus aus waren, blieb unserem
jungen Arzte jedoch nichts anderes übrig, als nun auch deren Aus-
stattung zu übernehmen. Weil er ohne eigenes Vermögen war, mußte
er die Hilfe eines Freundes hierzu in Anspruch nehmen, die dieser
ihm auch in reichem Maße leistete. Sie bauten für das junge Paar
ein eignes großartiges Gebäude, und 1775 wurde die Hochzeit darin
gefeiert.
Ihre Sprößlinge zählen heute nach Hunderttausenden. Mit sehr
wenigen Ausnahmen sind sie die wohlerzogensten, fleißigsten und
willigsten Geschöpfe. Sie kennen keine Ruhe bei Tag und Nacht
und sind wahre Muster von Fügsamkeit und Genügsamkeit. Einige
bleiben jahrelang auf einem Flecke stehen oder liegen, ja lassen sich
sogar an die Wand hängen, ohne bei ihrer schweren Arbeit viel zu
murren oder zu knurren. Andere laufen schneller als der Wind die
weitesten Strecken hin und her und finden mit ihren feurigen Augen
selbst bei stockfinsterer Nacht sicher ihren Weg. Daß sie stolpern,
gehört zu den größten Seltenheiten. Noch andere sind die reinen
Wassernixen, denen es ein leichtes ist, nicht bloß über Flüsse und
Seen, sondern selbst über Ozeane zu schwimmen, ohne daß ihnen ein
einziges Mal die Puste ausgeht. Von der Mutter erbten die Nach-
kommen die graziöse Beweglichkeit, von dem Vater die Arbeitslust
und Fügsamkeit, zugleich aber auch das schonungslose Verfahren gegen
alles das, was ihnen zu nahe tritt ..."
Mit einem feurigen Hoch schloß Dr. Engel seinen Trinkspruch.
A. Schroot.
70. Die Kunst und die Maschine.
Die Zukunft unserer Industrie hängt zu einem guten Teil
von der Kunst ab, die unseren Produkten Wert gibt, und die
tiefsten Bewegungen des Kunstempfindens in der Gegenwart
sind in ihrer Eigenart bestimmt oder mitbestimmt von der
Maschine.
Immer trat die Kunst in Zeiten hervor, wo der Wohlstand
im Wachsen war. Auch bei uns wächst die Menge der Kunst-
gegenstände und Kunstdarbietungen mit dem finanziellen Auf-
schwung. Es muß eben Geld da sein! Solange die Yölker
nur fragen müssen: Was werden wir essen, womit werden wir
uns kleiden ? können sie in Kunst wenig tun. Kunst sitzt
gern am Feuer der Herren, die etwas haben. So saß sie um
die Fürsten herum, auf den Sesseln, die den Bischof umgaben,
bei den großen und kleinen Aristokraten der alten Tage bis
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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161
Gotthard und seine beiden Gesellen, Arnold und Jakob, sowie Lutke, der
Lehrjunge, und der freiwillig mitschaffende Gilbrecht wechselten während
der Arbeit nur dann und wann ein paar Worte, bei denen aber keine
Hand feiern durfte. Immerhin ging es bei der Böttcherei laut genug
her, daß sie alle fünf nicht gleich bemerkten, wie sich die Haustür öffnete
und zwei Männer eintraten. Über das scharf gezeichnete, verbissene Gesicht
des einen von ihnen, eines langen, hageren Mannes in den fünfziger
Jahren, flog ein häßliches Frohlocken, und fast auf der Schwelle noch
wandte er sich halb zu seinem Begleiter um und sagte ihm leise: „Das
ist gut! Er arbeitet mit drei Gesellen und einem Lehrjungen." Dann
gingen sie auf den Meister zu, der sie jetzt erblickte, sich von der Schneide-
bank erhob und ihnen entgegentrat. Auch die Gesellen stellten die Arbeit
ein, und der erste der Eingetretenen sprach: „Gott grüße euch, Gott
weise euch, Gott lohne euch, ehrbarer günstiger Meister, und euch, hübsche
Gesellen! Wir kommen, eure Gelegenheit zu besehen nach Handwerks
Gebrauch und Gewohnheit."
„Seid willkommen wegen des Handwerks!" sagte der Meister. „Wir
wissen wohl," nahm jetzt der zweite das Wort, „daß es bei dir nicht von-
nöten ist, Henneberg, aber du weißt auch, daß wir es tun müssen mit
eines hochedlen Rates Vollbord und Befehlich und nach des ehrbaren
Amtes Ordnung." „Ich weiß," sagte der Meister, „tut eure Pflicht, ihr
Herren! Ich hoffe, ihr sollt nichts Wandelbares finden. Zählt und meßt
die Großheit und die Kleinigkeit und die Unwissenheit, wo ich gefehlt habe."
„Ei, lieber Meister, was redet ihr!" sagte der Lange wieder, „ihr,
der Amtsmeister der ehrbaren Böttchergilde und aller Handwerker leuchtend
Borbild, solltet Wandelbares haben; das ist ja zum Lachen." Aber das
Lachen kam nicht von Herzen, und der Meister gab auch keine Antwort
darauf, sondern schüttelte dem zweiten, einem kräftigen, untersetzten Manne,
freundlich die Hand und sagte, als er dessen besorgten Blick erst auf
Gilbrecht und dann auf ihn selber sah, ruhig lächelnd: „Gilbrecht, mein
zweiter, ist eben aus der Fremde gekommen und wirkt aus Langeweile
und zu seinem Vergnügen heute hier ein wenig mit, ist aber nicht mein
Knecht." Das Gesicht des anderen heiterte sich auf, und die beiden
Männer fingen nun an, mit Visierrute und Kettenmaß ein paar Tonnen
auszumessen und das Boden- und Stabholz sowie die Reifenbunde flüchtig
zu überzählen. Aber sie taten es nur zum Schein, um der Vorschrift
äußerlich zu genügen; denn sie wußten wohl, daß hier alles echt und
gerecht und unsträflich war. Es waren die Wardierer, welche die Pflicht
hatten, in bestimmten Zeitabschnitten und zwar unangemeldet und über-
raschend in den Werkstätten die Gelegenheit zu besehen und alle Hand-
werksarbeit genau zu prüfen, zu wägen und zu messen, ob sie genau nach
der strengen Handwerksordnung von tadellosem Rohstoff, nach rechtem
Maß und Gewicht und in der vorgeschriebenen Art und Weise hergestellt
und mit des Meisters Hausmarke gezeichnet war. Sie mußten das Holz,
das zu Waffer oder zu Wagen gekommen war, untersuchen, ob es trocken
und nicht rissig, von der richtigen Art und von den geschworenen Holz-
Lesebuch f. Fortbildungsschulen rc. Allg. Teil. H
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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Extrahierte Personennamen: Gotthard Arnold Jakob Henneberg
233
Stimme ist klangvoll und angenehm, das Auge lebhaft und klar. In
ruhiger, schlichter Sprache, mit großer Freundlichkeit und Güte erklärt er
dem Besucher manche seiner Apparate, namentlich seine Lieblingserfindung,
den Phonographen.
Die Versuchswerkstatt ist seine liebste Arbeitsstätte. Hier ist er in ein-
samer, stiller Nacht oft bis znm Morgengrauen tätig, und gerade die
Morgenstunden sollen ihm die meisten Erfindungen geschenkt haben. Jahre-
lang arbeitete er täglich 18 Stunden und begnügte sich dabei mit einer
äußerst einfachen Kost, oft fast nur mit Brot.
Das Leben des berühmten Mannes nahm seinen Anfang in ein-
fachen, ja ärmlichen Verhältnissen. Thomas Alwa Edison wurde am
10. Februar 1847 zu Milan im Staate Ohio geboren und verlebte seine
Kindheit in der Stadt Port Huron in Michigan. Sein Vater, der aus
Holland stammte, war der Reihe nach Schneider, Baumgärtner und Korn-
händler und hatte es trotz seiner Rührigkeit und Klugheit nicht zur
Wohlhabenheit gebracht. Edisons Ausbildung war auf den Unterricht
beschränkt, den er von feiner Mutter erhielt; von ihr lernte er lesen,
schreiben, rechnen. Alles übrige eignete er sich durch eigenes Studium
ohne jegliche Beihilfe an. Schon in seinen Knabenjahren war sein Wissens-
drang ganz außerordentlich, und er las alles, was er an Büchern und
Zeitungen erreichen konnte.
Mit zwölf Jahren kam er als Bahn- oder Zeitungsjunge zur
Grand-Trunk-Eisenbahnlinie von Canada und Central - Michigan, fuhr
mit dem Zuge von einem Ende der Linie zum andern und hatte hierbei
den Reisenden Zeitungen, illustrierte Journale, auch Früchte, Gebäck,
Zigarren usw. anzubieten. In kurzer Zeit war Edison mit seinem
Geschäfte vollkommen vertraut. Er verschaffte sich verschiedene Ver-
günstigungen, unter anderem das Vorrecht des ausschließlichen Verkaufs
von Drucksachen aus der Grand-Trunk-Bahnlinie, und erleichterte sich
schließlich die Arbeit dadurch, daß er mehrere Jungen seines Alters be-
zahlte und diesen an seiner Stelle das Anbieten der Waren anvertraute.
Er selbst saß in seinem Gepäckwagen und las eifrig in den Büchern, die
er sich von seinem geringen Verdienst kaufte. Bald hatte er in seinem
Gepäckwagen eine förmliche Werkstatt eingerichtet, in der er während der
Fahrt eifrig Versuche machte.
Wie vielseitig und unternehmungslustig der junge Edison damals
schon war, davon gibt folgende Tatsache einen sprechenden Beweis. Er
hatte Gelegenheit gefunden, eine Anzahl abgenutzter Druckbuchstaben und
eine kleine Handpresse billig zu erstehen. Sofort begab er sich ans Werk,
und in seinem Gepäckwagen verfaßte, setzte, korrigierte und druckte er eine
„ Eisenbahnzeitung", die er den Reisenden des Zuges verkaufte.
Eine hochherzige Tat wurde zu einem Wendepunkte in Edisons Leben.
Als er einst am Bahnsteig von Port Clement stand, sah er mit Schrecken,
daß ein kleines Kind spielend auf den Schienen saß, während ein in vollem
Lause befindlicher Zug heranbrcmste. Rasch entschlossen, sprang Edison
quer über die Schienen und riß das Kind mit sich fort. Die Puffer der
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T29: [Handel Industrie Land Ackerbau Fabrik Stadt Deutschland Mill Viehzucht Gewerbe]]
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235
der Kaiserin wurde ein neuer Zylinder für die Prinzen eingesetzt, und
der Kronprinz sang mit fester Stimme „Heil dir im Siegerkranz"; weniger
sicher trug dann Prinz Eitel Fritz das Lied „Ich hatt' einen Kameraden" vor.
Dem Prinzen Adalbert schien die Sache sehr gelegen zu kommen; denn er ries,
ohne sich zu besinnen, laut und jubelnd in das Sprachrohr: „Papa, ich
möchte gern einen Pony haben." Zur Freude der Kaiserin wiederholte
der Apparat diese Worte mit überraschender Treue. Anfangs November
wurde der Phonograph auch dem Kaiser Franz Joseph I. von Österreich
vorgeführt, den es ganz besonders freute, unter den Leistungen desselben
auch ein Lied zu hören, das Fürst Bismarck hineingesungen hatte.
Trotz seines großen Ruhmes ist Edison stets ein einfacher und schlichter
Mann geblieben. Zu seiner Lebensgefährtin erkor er sich eine Arbeiterin,
deren gute Eigenschaften und vortrefflichen Charakter er kennen gelernt
hatte. Mit ihr führt er ein glückliches Familienleben als musterhafter
Gatte und Vater. Die Sonntagsfeier hält er aus das gewissenhafteste
und widmet sich an diesem Tage gänzlich seiner Familie; alle wissen-
schaftlichen und geschäftlichen Angelegenheiten ruhen an diesem Tage.
Nach Ritter von Urbanitzky.
102. Heil der Arbeit.
Heil der Arbeit! — Träges Leben
gibt uns kein erheiternd Los.
Nie wird rühmlich sich erheben,
der die Hand legt in den Schoß.
Nur muß gleist auch Früchte bringen,
denn die Lust ;um Schaffen flieht
den, der unter stetem Ringen
seines Harms kein Ende sieht.
Ntancher wird ins Elend fallen,
der sich in die Zeit nicht schickt
und statt mut'gem Vorwärtswallen
planlos aufs Vergangne blickt.
Leer und nichtig sind die Träume
von der „guten, alten" Zeit;
in der Werkstatt enge Räume
trägt sie keinen Segen heut'.
Karl Weise.
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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Extrahierte Personennamen: Fritz Franz_Joseph_I._von_Österreich Franz Edison Ritter_von_Urbanitzky Harms Karl_Weise Karl
350
Die Stille der Versammlung hielt noch einen Augenblick
an. Da rief der Großherzog von Baden: »Seine Kaiserliche und
Königliche Majestät, Kaiser Wilhelm, lebe hoch!' und entzündete
die allgemeine Begeisterung. Die Musik spielte »Heil dir im
Siegerkranz“, der Kronprinz aber beugte sein Knie, um als der
erste dem kaiserlichen Vater zu huldigen und ihm die Hand zu
küssen, doch dieser hob ihn auf, zog ihn an seine Brust und
küßte ihn auf beide Wangen. Drauf reichte er dem Schwieger-
söhne die Hand und ebenso den andern anwesenden Fürsten.
Die Geistlichen und die Offiziere traten einzeln und in Gruppen
heran, verbeugten sich und schritten zur Seite. Doch bald stieg
der Kaiser herab mitten unter die Seinen und ging durch die
Reihen, mit Offizieren und Gemeinen leutselig sprechend. Unter
den Klängen des Hohenfriedberger Marsches verließ der hohe
Herr, begleitet von den Prinzen und Fürsten, den Festsaal.
_______________ Staude und Göpfert.
Die Anbahnung des Verständnisses der humanen
wirtschaftlichen und politischen Aufgaben, die einer
Nation nach den Gesetzen ihrer geschichtlichen Ent-
wickelung gestellt find — ohne diese Schule gelangt kein
Volk zum rechten Gebrauch der ihm verliehenen politischen
Rechte. Schulze-Lklitzsch.
148. Kaiser Wilhelm I.
Kaiser Wilhelm war von hoher, edler Gestalt. Wer das Glück
hatte, ihn zu sehen, mußte staunen über die straffe, soldattsche Haltung
des Heldengreises. Mit einem echt königlichen, majestätischen Wesen
vereinigte er die größte Milde und Leutseligkeit. Andern Freude zu
machen, war seine Lust, und auch für Kinder hatte er oft ein freund
liches Wort. Wenn er in Ems im Bade war und spazieren ging,
streckten ihm die Emser Büblein nicht selten zuttaulich die Hand ent-
gegen, die er dann mit freundlichem Lächeln herzlich schüttelte. Der
Kaiser hatte ein kindlich frommes Herz. Ihn hatte das Glück nicht
übermütig, der Ruhm nicht stolz gemacht. Sein Wahlspruch war:
„Gott mit uns!" Wenn der Kaiser in Berlin wellte, so bewohnte er
nicht das prächtige Königliche Schloß, sondern sein einfaches Palais
am Eingänge „Unter den Linden", dem Denkmale Friedrichs des
Großen gegenüber. Das erste Fenster links in der Front ist das
„historische Eckfenster", nach welchem die Fremden in Berlin oft
stundenlang hinüberschauten, um ihren geliebten Kaiser zu sehen, wenn
er vom Arbeitsüsche aufstand und einmal ans Fenster ttat, um sich
zu erholen. So oft sich der Kaiser zeigte, brausten ihm Jubelrufe
entgegen, und manche Mutter hob ihr Kind auf, daß es des alten
Kaisers freundliches Gesicht sähe.
Der Kaiser Wilhelm war in allem sehr einfach. Als Schlafstätte
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Extrahierte Personennamen: Wilhelm Wilhelm_I. Wilhelm Wilhelm Friedrichs Wilhelm
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*2. fjaumcmn
der sogenannten falten Rüche, der belegten Brote, außerdem der stärkere
verbrauch in den mittleren und den bessergestellten Kreisen angenommen.
„Es gibt Millionen von Menschen, denen es nichts schaden, vielmehr nützen
würde, wenn sie sich größerer Mäßigkeit im Fleischgenuß befleißigen
wollten . . . Selbst die Rinder werden frühzeitig an eine derartige Eßweise
gewöhnt. Eine gehaltvolle Suppe, Mehlspeisen kennt man in vielen Familien
überhaupt nicht. Das alles ist ein sinnloser Luxus für die einen, eine schädliche
Lebensweise für die andern, und vor allem ein Verhängnis für die Rinder."
(Rubner.)
5. Als eine Brotunsitte, die sich wie eine Krankheit verbreitet, be-
zeichnet Rubner die Gewohnheit, kein Brot ohne Fettbelag zu essen. Die
allgemeine und ausnahmslose Fettung des Brotes hält er für einen öffent-
lichen Adelstand. „Wenn jeder Mensch in Deutschland täglich nur ein Gramm
Butter weniger aufs Brot streicht, so macht das im )ahr einen Minder-
verbrauch von 25 ooo Tonnen Butter. Die fugend muß so erzogen werden,
daß sie das fettfreiebrot als ein wertvollesnahrungsmittel achtet." Rubner
hat durch Untersuchung der Abwässer der Berliner Kanalisation festgestellt,
daß täglich auf den Kopf der Bevölkerung 20 Gramm Fett wegfließen; das
ergibt bei zwei Millionen Einwohnern täglich ^o ooo kg und bei dem nicht
hoch bemessenenpreise von ^,5omark einen täglichenverlust von ooooomark!
Dies Fett entstammt zumeist den Rüchenspülwässern. Solange es der Technik
nicht gelingt, es wieder zu gewinnen, erleidet das Volksvermögen eine
nicht wieder gutzumachende Schädigung, obwohl der Verlust für den einzelnen
kaum fühlbar ist. — Mb diese Verluste ganz zu vermeiden sind? Nein. Aber
bedeutend zu verringern! Niemand lege auf den Teller mehr, als er essen
will und — esse dann auch alles. Es ist nicht unvornehm, auch nicht in Ge-
sellschaft — sollte es wenigstens nicht sein —, den Teller leer zu essen.
6. Uber den sparsamen Verbrauch von Brot heißt es in dem Erlaß
des Handelsministeriums vom 4. November ^9^ („Belehrung über
Wirtschaftsführung während des Krieges"; Sonderdruck bei E. Heymann):
„Wie oft sieht man, daß vom schon angeschnittenen Brote die oberste Scheibe
abgeschnitten und nicht gegessen wird, weil sie nicht mehr ganz frisch ist, daß
Brötchen und Semmeln nur angebrochen werden. Der Mann muß die Frau,
die Frau die Dienstmädchen, die Eltern die Kinder stets und ständig dazu
anhalten, mit dem Brot ehrerbietig umzugehen, kein Stück Brot abzuschneiden,
kein Brötchen anzubrechen, das sie nicht aufessen, ^eder erinnere den andern
daran, wie glücklich oft unsere Truppen auf vorgeschobenen Kosten wären,
wenn sie das Brot hätten, das hier vergeudet wird, weise Sparsamkeit,
die alles ausnützt, ist auch bei andern Nahrungsmitteln zu üben. Der
Gesetzgeber kann hier nicht zwingen oder raten. Eine Hausfrau möge die
andere beraten." Die Fortbildungsschule helfe dazu, daß der Krieg ein
Erzieher zu einfacher und sparsamer Lebensweise werde, daß
die Ehrfurcht vor dem Brot als einer Gottesgabe in das junge Geschlecht
gepflanzt werde. Wenn auf keinem Schulhofe und auf keinem Flur Reste
vom Frühstück zu sehen sind, ist sicher schon ein großer Erfolg erzielt. (Siehe
auch „Krieg und Volksernährung", C 6, to und u.)
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